long stories

Sonntag, 27. Dezember 2009

Pushing boundaries

Schnell muss es gehen, das Annähern. Treffen, trinken, knutschen. Spätestens beim dritten Mal dann Handgreiflichkeiten. Intimität schaffen, wo es noch nicht mal Nähe gibt. Von Null auf hundert, lieber nicht nachdenken. Stattdessen den Druck verstärken, bis das, was noch gar nichts ist, aber eventuell etwas hätte werden können, unter der Last zerbricht.

"Ich hab nicht mal eine Bettdecke" sagt der Mann und ich frage mich reflexartig, wie das denn gehen soll, mit der Intimität, wenn wir nebeneinander liegen wie Raupen, fest eingewickelt in unsere Sofaüberwürfe. Im Endeffekt knüpfen wir im Bett dort an, wo wir im Pub aufgehört haben. Wir reden. Und lachen, nein, eigentlich gackern wir wie die Hühner. Und die ganze Zeit fühle ich mich gleichzeitig wohl und irgendwie zurückgewiesen, weil was ist denn das für ein Mann, der eine Frau, die in Unterwäsche und leicht betüdelt (und zugegebenermaßen wie eine Mumie in einen Schlafsack eingewickelt) in seinem Bette liegt, nicht zumindest ein klitzekleines bißchen zu verführen sucht. Verführt wird aber erstmal gar nicht. Und ich beginne, nach Gründen zu suchen. Schwul, blind nicht interessiert, impotent, befreundint, kauzig oder gar jungfräulich? Was weiß man schon, heutzutage. "Nur damit du dich nicht erschrickst", bemerke ich schließlich ganz listig, "ich bin im Schlaf ziemlich anhänglich und werde dich wahrscheinlich umarmen. Ist so ein psychischer Defekt von mir." Das ist natürlich gelogen und leicht zu durchschauen obendrein. Der Mann jedenfalls ist amüsiert. "Na wenn das so ist, dann können wir auch gleich damit anfangen." Sprichts und nimmt mich in den Arm, wie es von Gott vorgesehen war, nämlich so richtig und nicht bloß so. Und so schlafen wir ein.

Am nächsten Morgen nehmen wir die Northern Line Richtung Stadtzentrum. Die Stationen rauschen an uns vorbei. Wir stehen uns gegenüber. Die Spannung steigt. Abschiedskuß? Kein Abschiedskuß? Die japanischen Touristen auf der anderen Seite des Waggons kichern hinter vorgehaltener Hand, der Anzugträger gegenüber schielt interessiert hinter seiner Zeitung hervor. "See you soon." sagt der Mann und umarmt mich. Durch den Waggon schwappt eine Welle der Enttäuschung. Sorry folks, Casablanca it ain't. Und ich? Ich bin kein bißchen enttäuscht, bloß verwundert. Denn mir wird plötzlich bewusst, daß ich den Mann ja eigentlich noch gar nicht kenne und ein vorschneller Kuß unter diesen Umständen wahrscheinlich mehr gewesen wäre, als meine Psyche, das zarte Pflänzchen, verkraftet hätte.

Eine Woche später sitzt der Mann bei mir auf dem Sofa und trinkt Tee ohne Milch. Der Abstand zwischen uns ist minimal und doch so groß, daß ich versucht bin, mich hinüberzulehnen, nur ein paar Millimeter, um den Graben zu überbrücken, der sich plötzlich zwischen uns aufzutun scheint. Als sich unsere Schultern zufällig berühren und er nicht zurückweicht, bin ich seltsamerweise erleichtert. Als wäre die Tatsache, daß da einer bei mir auf dem Sofa sitzt und Tee trinkt, der extra drei Stunden Autofahrt in Kauf genommen und der das ganze Intermezzo auch noch selber vorgeschlagen hat, nicht Beweis genug dafür, daß es sich hier um keinen Irrtum handelt.

Wir gehen also Essen. Und dann ins Kino. Und dann nach Hause. Und die ganze Zeit passiert...nichts. Jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Kein Händchenhalten, kein Geknutsche. Und ich merke plötzlich, wie angenehm diese Entschleunigung ist, wie sehr mir diese langsame Annäherung entgegenkommt. Und Annähern tun wir uns einander tatsächlich. Das merke ich allerdings erst, als ich morgens aufwache und ohne lange nachzudenken meine Arme um des Mannes Hüften schlinge. "Hmhm" sagt der nur und verflicht seine Finger mit meinen, wie man es sonst nur tut, wenn alles gesagt und definiert und ausdiskutiert ist.

Am Ende verbringen wir drei Tage und zwei Nächte miteinander. Wo sich unsere personal spaces anfangs noch gespießt haben, überlappen sie nun zusehends. Am zweiten Morgen liegen wir eng verschlungen im Bett und plötzlich wird mir klar, daß hier nichts zu langsam passiert. Dies ist ein Aufeinandertreffen zweier Menschen mit ähnlichem Rhythmus, ähnlichen Grenzen und ähnlichen Unsicherheiten. Das macht mich so froh, daß ich lachen muß. "Was denn?" will der Mann wissen. "Nur so." sage ich. "Ah." sagt der Mann und dann küsst er mich, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Und irgendwie ist es das auch. Selbstverständlich. Ungezwungen. Wunderbar. Und keine Sekunde zu spät.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Extended coffee oder: das längste erste Date, like, ever.

Ich stehe im Regen, ohne Regenschirm, umgeben von Menschen mit Regenschirmen, und warte und versuche der vorbeieilenden Menschenmasse ein vertrautes Gesicht abzuringen. Der Geschäftsmann neben mir kämpft mit i-Phone, Zeitung und Aktentasche. Die Minuten verstreichen. Von meiner Nasenspitze tropft es. Ich kann förmlich fühlen, wie mir die Wimperntusche über die Wangen läuft. "Attraktiv", denke ich so bei mir. Und dann: "Telefon." Der Geschäftmann hat seine Zeitung fallengelassen und hält sich stattdessen die Aktentasche über den Kopf. Ich wähle mit nassen Fingern die mir noch nicht vertraute Nummer. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite zieht jemand sein Mobiltelefon aus der Tasche. "Getting rained on?" Ich kann ihn lächeln hören. Londoner Akzent. Angenehme Tonlage. "Ich glaube, ich kann dich sehen." sage ich. Die Gestalt auf der anderen Straßenseite dreht sich um. Ich hebe langsam die Hand.

Im Pub ist es dunkel und heiß, feucht-dampfende Regenjacken so weit das Auge reicht. "Drei Monate." er schaut mich an und schüttelt amüsiert den Kopf. "Ich weiß." sage ich und schäme mich ein bißchen. Drei Monate seit wir uns auf einer Party kennengelernt haben. Fünf Stunden hatten wir uns damals unterhalten. Ohne Punkt, Komma oder Pause. Am Ende hatte er mir seine Nummer in die Hand gedrückt und ich hatte mir fest vorgenommen, anzurufen. Dann kam die Arbeit. Und der Stress. Der Zettel mit der Nummer hing einsam und lappig an der Pinwand, umgeben von Pizzalieferantenbooklets und Stromrechnungen. Die Zeit verging. Ich kam mir dämlicher und dämlicher vor. "Du wirst es bitter bereuen - bitter!" sagte die N. und auch die S. und überhaupt jeder, der dazu eine Meinung hatte. "Wie wahr." denke ich. "Noch ein Bier?" "Absolut." sage ich. Die Barfrau grinst mich über die Theke hinweg an und formt lautlos Worte mit den Lippen. "Erstes Date?" Ich muß grinsen. Nicke. "He's cute." Indeed.

Später spazieren wir über die South Bank. Ein einsamer Saxofonist steht an der Treppe und spielt samtweiche Tonleitern. Leicht betüdelt von zuviel Bier und zuwenig Nahrung umrunden wir die Alleebäume. In den Pfützen auf dem Kai spiegelt sich die Weihnachtsbeleuchtung.

Den ganzen Abend über berühren wir uns nur flüchtig, ohne Absicht. Hin und wieder berühren sich unsere Hände. Irgendwann strubble ich ihm durch die Haare - das macht man ja nun mal so, wenn man über Friseure redet - und er lässt es ohne Widerstand zu, hebt nicht mal die Hand, um die Frisur, die sowieso keine ist, wieder in Ordnung zu bringen. Wir sehen uns an. Neben uns fällt krachend ein Barhocker um. Der Bartender räumt Gläser ins Regal.

In seiner Wohnung herrscht Chaos. Überall Bretter, halb abgezogene Türen, ein Weihnachtsbaum. "Kacke, ich glaub der Eimer ist undicht." sagt er. Tatsächlich fliesst ein munteres Rinnsal vom Baum quer durch die Küche zur Abwasch. Im Schlafzimmer sind Werkzeug, Kameraausrüstung und Sägespäne gleichmäßig über den Fußboden verteilt. "Zumindest kann dir keiner vorwerfen, du hättest von vorneherein geplant, mich mit nach Hause zu nehmen." Er lacht. "So ein Saustall. Peinlich, aber echt." Er schiebt mit dem Fuß eine Säge zur Seite. "Und ich hab nicht mal eine Bettdecke."

//Fortsetzung folgt

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Booty Call Interrupted

Die S. und ich stehen im Actress inmitten einer wogenden Masse von mächtig aufgebrezelten Weibsen und beponyfransten Jünglingen in karierten Hemden, nippen an unseren doppelten Cola-Rums und amüsieren uns prächtig auf Kosten der anderen, wie man das nun mal so tut, wenn es nichts zu Lachen gibt.

"Männer", sagt die S. gerade und verdreht frustriert die Augen gen Himmel, "sind ja sowas von sinnlos. Die kriegen doch alle den Arsch nicht in die Höhe." Die S. ist schon seit längerem in einer Art Love Triangle gefangen und von dieser speziellen Konstellation und ihrer Sinnhaftigkeit- viel Triangle, wenig Love - nicht zu hundert Prozent überzeugt, was sich gewaltig in ihrer Weltanschauung niederschlägt. "Süße, ich weiß alle Männer sind doof, aber da sitzen vier Exemplare hinter dir, die starren seit fünf Minuten auf deinen Allerwertesten und nicken beifällig." werfe ich ein. Die S. hält in ihrer Tirade inne und scheint zu überlegen. Ich überlege auch. "Ich brauch mehr Rum", beschließt die S., die plötzlich in deutlich gehobener Stimmung ist, und schwenkt unternehmungslustig ihre Handtasche gen Bar. "Geh du mal, ich halte hier die Stellung." sage ich und die S. entschwindet, Handtasche und Hintern formvollendet von links nach rechts schwenkend, Richtung Theke.

Aus dem starrenden Quartett ist mittlerweile ein starrender Solist geworden und ehe ich mich noch zur Ordnung rufen kann, hat der Rum das Kommando übernommen und ich mich hingesetzt. "Hey." sage ich, und "Hey." sagt der Solist und grinst ein bißchen schief hinter seinem Bier hervor. "Oh, wie süß sympathisch", denkt mein beschwipstes Hirn, "der wär doch was für die S." Tatsächlich hat die S. ein Faible für unkonventionell gutaussehende Herren - quirkyness nennen die Briten das - und der Solist passt in diese Kategorie wie die Faust aufs Auge. Die S. erscheint dann auch wie gerufen auf der Bildfläche, im Schlepptau das starrende Trio. "Kaum ist man mal fünf Minuten weg, schon sammelt sich hier ein Harem an." schüttelt Kerl Nummer Zwei ungläubig den Kopf. Tatsächlich kann ich seinen Unglauben sogar nachvollziehen. Kerl Nummer Zwei ist konventionell gutaussehend und sicherlich derjenige, dem sich in der Truppe normalerweise die Damen zu Füßen werfen.

Die S. unterhält sich jedenfalls prächtig mit dem Solisten, während ich semi-erfolgreich die anderen drei Herren davon abzuhalten versuche, ihre Zeigefinger abwechselnd in alle verfügbaren Getränke zu stecken. Gleichzeitig versuche ich zu ergründen, wieso ich den gutaussehenden Kerl, der noch dazu Koch in Herrn Ramsey's Maze und ein mittlerer Fernsehstar ist, bloß gutaussehend und den Solisten irgendwie ziemlich anziehend finde.
Nach einer weiteren halben Stunde wird mir dann so einiges klarer. Da sitzt nämlich plötzlich der Solist neben mir und erzählt mir irgendwas von Manchester und Musik und grinst dabei ziemlich verschmitzt. ich verstehe nur die Hälfte von dem, was er mir zu erklären versucht, aber das ist eigentlich egal, denn es fliegen die Funken in einer Art und Weise, daß sogar der Koch kurz die Augenbrauen hebt.

Nun ist es normalerweise ja so, daß ich nicht unbedingt proaktiv bin, wenn es darum geht, mir körperliche Zuwendung zu holen. Ich gehöre zu der Kategorie Frauen, die sich vorsichtig nach vorne lehnen, herausfordernd auf den Zehenspitzen wippen und hoffen, daß der Kerl dann schon irgendwie auf sie drauffällt - was selten passiert. Anders ausgedrückt: ich warte. Und dann warte ich noch ein bißchen länger. Und klimpere mit den Wimpern. Und versuche, einladend zu wirken. Und wenn das alles nichts hilft, dann war es das meistens auch. Und da stehen wir nun auf der Tanzfläche, der Solist und ich, und knistern vor uns hin und ich lehne mich vorsichtig nach vorne und wippe ein bißchen auf den Zehenspitzen und während ich mich noch wundere über diese komische Mischung aus Vertrautheit und körperlicher Anziehung, die mir langsam den Magen hebt, legt mir der Solist die Hand an die Stelle, die man im Englischen so treffend als small of the back bezeichnet, und küßt mich. Dann müssen wir beide lachen. "Oha." sage ich. "Easy." sagt er. Dann fragt er nach meiner Telefonnummer.

Später sitzen wir vor der Tür in der Arschkälte. "Ich hab 'ne Freundin.", sagt der Solist und sieht dabei gar nicht sehr betreten aus, "stört dich das?" "Nö." sage ich. Der Solist strahlt 22-jährige Verwirrung aus. "Ich will dich ja nicht heiraten sondern bloß mit nach Hause nehmen" erkläre ich und wundere mich selbst über meinen Mangel an Beziehungsanleierungsbedürfnis. "Hättest du gerne, daß ich dich mal anrufe?" fragt der Solist und schaut mich schief von der Seite an. "Möchtest du das denn?" frage ich zurück. "Würde ich sonst fragen?" "Wahrscheinlich nicht."

Wie sich das so gehört, endet der Abend in einem äußerst bizarren Curryhaus mit zombiesken Kellnern und scheußlichem Beef Madras, das so scharf ist, daß mir schon vom Geruch die Augen tränen. Die S. gähnt, der Koch erzählt was von Mary Rose Sauce und Brandy, die anderen zwei Kerle essen Krabbencocktail und der Solist und ich kommen vor lauter Schauen zu gar nichts. Wir verabschieden uns auf der Straße, umgeben von sich übergebenden Mädels und gröhlenden Halbstarken. "Goodbye, Shag." flüstert mir der Solist ins Ohr. Schade drum, denke ich. Was musst du auch eine Freundin haben, das ist ja sowas von unpraktisch. Die Erfahrung hat mich nämlich zumindest eines gelehrt: wenn der Kerl erstmal wieder nüchtern ist, erscheint ein Booty Call plötzlich nicht mehr ganz so verlockend.

"Männer" sage ich zur S. auf dem Nachhauseweg, "sind ja sowas von sinnlos. Die kriegen doch alle den Arsch nicht in die Höhe." Was soll ich sagen, ich hasse es, wenn ich Recht behalte.


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